Montag, 7. April 2014

17: Probleme in puncto importierter Termini / Mühen mit Fremdwörtern

Im ersten Post habe ich von Philipp von Zesen gesprochen. Der Mann lebte im 17. Jahrhundert und fühlte sich irgendwie von den vielen Fremdwörtern in seiner Sprache eingeengt. Er wollte der deutschen Sprache zu mehr Originalität verhelfen. Hier noch ein paar Beispiele seiner Verdeutschungen, die ich damals nicht erwähnte:

Erfolgreich: Abstand (Distanz), Anschrift (Adresse), Augenblick (Moment), Bücherei (Bibliothek), Freistaat (Republik), Glaubensbekenntnis (Credo), Gotteshaus (Tempel), Grundstein (Fundament), Kreislauf (Zirkulation), Letzter Wille (Testament), Mundart (Dialekt), Sterblichkeit (Mortalität), Verfasser (Autor), Vollmacht (Plenipotenz), Wahlspruch (Devise), Weltall (Universum)

Erfolglos: Entgliederer (Anatom), Erzvater (Papst), Gottestum (Religion), Jungfernzwinger (Kloster), Kirchentisch (Altar), klägeln (querulieren), Leuthold (Patriot), Lotterbett (Sofa), Lustkind (Amor), Schalksernst (Ironie), Spitzgebäude (Pyramide), Spottnachbildung (Parodie), Tageleuchter (Fenster), Weiberhof (Harem), Zeugemutter (Natur)

Die Schöpfung "Gesichtserker" für "Nase" stammt allerdings entgegen dem teils vorhandenen Glauben nicht von von Zesen, sondern ist lediglich eine Spotterfindung seiner Gegner.

Für eine zweite Verdeutschungswelle sorgte zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert Joachim Heinrich Campe. Hier Beispiele aus seiner Arbeit:

Erfolgreich: altertümlich (antik), Erdgeschoss (Parterre), Esslust (Appetit), Feingefühl (Takt), fortschrittlich (progressiv), herkömmlich (konventionell), Hochschule (Universität), Lehrgang (Kursus), Stelldichein (Rendezvous), Streitgespräch (Debatte), tatsächlich (faktisch), Voraussage (Prophezeiung)

Erfolglos: Zwangsgläubiger (Katholik), Freigläubiger (Protestant), Menschenschlachter (Soldat)

Die letzten drei Beispiele finde ich besonders spannend, da jeweils eine Wertung darin zu erkennen ist. Ich persönlich mag Fremdwörter, da sie der Sprache eine bunte, exotische Note verleihen. Aber ich habe auch nichts dagegen einzuwenden, dass es dank den beiden Sprachpuristen von Zesen und Campe auch viele "Originalversionen" gibt. Sie wissen ja seit Post 2: Sprache hängt für Menschen nun mal in der Regel ganz eng mit Identität zusammen. Man kann bei Fremdwörtern auch viel falsch machen: Zum einen ist ihre korrekte Schreibweise etwas schwerer im Kopf zu behalten, zum anderen hat nicht immer jeder Gesprächspartner ein immenses Vokabular / einen grossen Wortschatz vorzuweisen, was Verständnisschwierigkeiten mit sich bringen kann (Eindruck kann man damit leider trotzdem bei vielen Leuten schinden...). Manchmal passieren schon bei der Eindeutschung Fehler. Hier ein paar Pseudo-Anglizismen; dahinter steht jeweils die korrekte englische Bezeichnung für das, was der Deutschsprachige damit meint:

Castingshow – talent search television series
Drive In – drive-thru restaurant
(to do) Fitness – workout in a gym
Fitness Studio – gym
Gospel – Gospel music
Handy – mobile phone
Horrortrip – bad trip
Inboard-Kamera – onboard camera
Inliner – inline skates (shoes)
Kicker – table football ("foosball" in American English, a variation on the German word "Fußball" (football))
Logical – riddle/puzzle to be solved by logical thought (German Wikipedia)
Musicbox – jukebox
Oldtimer – primarily a classic car, secondary all vintage vehicles
prepaid – pay as you go
Public Viewing – outdoor screening (Anmerkung: In den USA: "public viewing" = "öffentliche Leichenschau". Ein schönes Fettnäpfchen!)
Punker, Punky – a punk
Rowdy – thug, hooligan
Shootingstar – successful newcomer (sports, music, literature, business, politics...)
Slipper – lace-less shoes
Showmaster – show host
Talkmaster – talk show host
Training – without any specification it means to workout in a gym, synonym to do Fitness or Training; with a (implicitly) given specification it means exercising under practicing conditions even if the results of this have consequences for a following competition, e.g. Qualifikationstraining means Qualifying Session or Balltraining means exercises with a ball
Wellness – A holistic sense of mental and physical well-being
(http://en.wikipedia.org/wiki/Pseudo-anglicism)

Ob sich andere Sprachen auch mal bei uns bedienen? Aber ja! Einfach mal hier reinschauen.

Zum Abschluss noch ein kurzer Text, den ich vor wenigen Jahren in Zusammenarbeit mit ein paar Exponentinnen und Exponenten einer Konfirmandenklasse erarbeitete. Es ging darum, eine möglichst "wissenschaftlich" klingende Definition des Begriffs "Freundschaft" zu verfassen, die dann "Dr. Wikipedia" vortrug. Ich stellte aus verschiedenen Definitionen eine Basis zusammen und machte mich dann ans Finetuning, also ans Überladen des Texts mit Umständlichkeit und Unnötigkeit. Hier das Ergebnis:

"Der Begriff Freundschaft bezeichnet eine positive Relation und Empfindung zwischen menschlichen Individuen, die sich als Wohlwollen und einer vertrauensbasierten Weise zu agieren zwischen ebendenselbigen manifestiert. Freundschaften können als biographische Konstante bezeichnet werden, deren Funktion ebenso unersetzlich ist wie jene der biologisch nächstverwandten Bezugspersonen.

Georg Simmel beschreibt in „Soziologie der Freundschaft“ die Freundschaft als differenzierte Freundschaft. Im Gegensatz zu Aristoteles betrachtet er Freundschaft als im soziologischen Sinne graduelles Phänomen. Freundschaft fängt für ihn – erstaunlicherweise - in dem Moment an, in dem sich zwei Menschen kennenlernen. Sie sind sich also ihrer jeweiligen gegenseitigen Existenz bewusst.

Von dieser Basis aus ist den menschlichen Wesen nun die Kompetenz eigen, verschieden weit in die Sphäre des anderen zu penetrieren. Philosophisch-metaphysisch angesehen kann darüber hinaus angeführt werden, dass…" *abrupter Abbruch*

Hmm... Jetzt, ein paar Jahre später, sehe ich hier sogar noch weit mehr Raum für Überladung! Wenn Sie mal überlegen, was der tatsächliche Inhalt dieses Texts ist, dann werden Sie aber merken, wie aufgeblasen er schon so ist, wie wenig er tatsächlich aussagt. Das ist aber in der Wissenschaft nicht immer so. Wissenschaftler brauchen präzise Begriffe, die ein exakt definiertes Bedeutungsfeld haben, und deswegen müssen sie mit differenzierteren Begriffen arbeiten, die sich von denen der Alltagssprache abheben. Da leisten Fremdwörter einen guten Dienst. Sonst lieber damit sparen! 
Das wär's, für diese Woche sag' ich dann mal: Tschüss.

-Der Sprachbeschreiber