Montag, 27. Oktober 2014

29: Über einen Abend mit Bastian Sick

Da sah ich doch letztens ein Plakat am Strassenrand: Bastian Sick, vielleicht der kommerziell erfolgreichste Sprachbeschreiber der Geschichte, würde am 16. Oktober in Zürich auftreten. Mir war sogleich klar: Nichts wie hin! Im Folgenden ein Bericht über den Abend, den ich nebst Freundin im Volkshaus erleben durfte.


"Füllen Sie sich wie zu Hause" - so der Titel des Programms, ein laut Broschüre für Bastian Sick geradezu charakteristisches Wortspiel, das nicht nur banale Wortspielerei ist, sondern einen gewollten neuen Sinn hat: Man solle den Abend nutzen, um den eigenen Verstand mit Bonmots, Sprachspielereien und allerlei anderem Interessantem und Skurrilem anzureichern.

Die Vorstellung beginnt mit einem Video, in dem Herr Sick erst einmal ausführlich vorgestellt wird. Man erfährt, dass er zuerst Lehrer werden wollte, dann aber Korrekturleser wurde, durch seine Kolumne "Zwiebelfisch" deutschlandweit bekannt wurde und in Zusammenarbeit mit anderen Experten in der Köln-Arena die Guinness-zertifizierte grösste Deutschstunde der Welt abgehalten hat. Mittlerweile hat er im Auftrag des Goethe-Instituts mit seinen Vorstellungen und Lesungen auch Südamerika und weite Teile Europas besucht. Nach dem Video tritt Herr Sick dann persönlich auf die Bühne. Er berichtet zum Einstieg von der Rolle der Vögel in unserer Sprache. Obwohl wir sie doch eigentlich bewundern würden, dienten sie in der deutschen Sprache doch eher für das Ausdrücken von Spott und Hohn. Er berichtet von Rabenmüttern, Schmutzfinken und Dreckspatzen, Nachteulen, Schluckspechten und Schnapsdrosseln. Doch Vorsicht - Drossel hiess ursprünglich "Kehle", daher ist mit letzterem eigentlich kein Vogel gemeint. Auch der Kuckuck ist in der Sprache zumeist buchstäblich ein falscher Vogel, da er als Platzhalter für den Teufel zu dienen pflegte, dessen Name im Mittelalter auszusprechen sich viele nicht trauten (ich liebe diesen Satz. Eigenkonstrukt. Nicht abgekupfert, ehrlich). "Und dann kriegen wir an den Augen Krähenfüsse und an den Füssen Hühneraugen! Solche anatomischen Wunder machen die Vögel in unserer Sprache möglich, meine Damen und Herren!".

Sick liest aus Zeitungen vor: "Der junge Mann wurde von dem Hund verfolgt, attackiert, gebissen - und ambulant ärztlich versorgt." Wir erfahren, dass die in Amerika einfallenden Europäer in der Regel einen Indianerstamm aus der Gegend nach den Namen der umliegenden Stämme fragten. Wie sehr bzw. eben wie wenig sich diese Stämme mochten, kann man den Namen ansehen: Hinter klingenden Bezeichnungen wie Sioux, Apache oder Cheyenne verstecken sich Bedeutungen wie "Feinde", "die zu Fuss gehen" (der benennende Stamm hatte bereits Pferde), "kleine Anderssprechende" oder "Bauern". Fast alle Stämme haben kaum bekannte Namen für sich selbst, die "Menschen/Volk" bedeuten. Es geht weiter mit fotografischen Dokumentationen sprachlicher Missgeschicke. "Hänschen klein ging allein in die weite Welt hinein... falsch gedacht, weit ist der arme Junge nicht gekommen: Dieser Laden hier verkauft Hänschen-Geschnetzeltes!". Auch das beleckte Brötchen, die Länder Belgesien, Spananien oder Grieschland, das Popmone, ein vierköpfiges Alpentrio, Outdoormode für draussen oder ein Google-Hopf strapazieren die Lachmuskeln und zeigen unter anderem die Abhängigkeit des postmodernen Deutschen von elektronischen Schreibhilfen.

In der englischen Zeitung "The Guardian" habe sich kürzlich ein Journalist mit den ellenlangen Komposita der deutschen Sprache befasst, mit diesem Beispiel als Aufhänger, für das er ganze 13 Worte zur Erklärung gebraucht habe:


Es gebe sogar einen offiziellen Weltrekord für das längste Wort der Welt, erzählt Sick. Dieses Faktum führt er dann sogleich ad absurdum, indem er einen neuen Weltrekord bastelt, der da lautet: "Unterhaltungselektronikeinzelhandelverkäuferweiterbildungswochendendseminarteilnehmerliste". Dann eines der grossen Sorgenkinder meinerseits: Die post moderne Getrennt Schreibung. Da werben Firmen mit Slogans wie "24 Monate ohne Grund Gebühr" oder "Wir machen Ihren Computer fit und Viren resistent" - grosse Klasse. Autonamen regen Sicks Fantasie an: FIAT = Fahrer Im Auftrag des Todes. GOLF = Ganz Ohne Luxus Fahren. OPEL = Offensichtlicher Pfusch eines Lehrlings. SEAT = Sehen. Einsteigen. Aussteigen. Totlachen. BMW = Bei Mercedes Weggeworfen. FORD = Für Opa Reicht Das. Und wussten Sie, dass "möchte" der Konjunktiv 2 von "mögen" ist? Es gibt dennoch Grammatiktabellen, in denen "möchten" als eigenständiges Verb durchkonjugiert wird: Ich möchtete, ich werde gemöchtet haben. Vom veraltenden Konjunktiv 2 - von Sick mit einem tollen Gedicht gewürdigt - wird übrigens in einer von einem deutschen Bundesamt herausgegebenen Heft mit dem Titel "Leichte Sprache" abgeraten, genauso wie etwa vom Genitiv oder von angeblich schwierigen Wörtern wie "genehmigen", das man etwa durch "erlauben" ersetzen solle. "Darauf werde ich mir im Hotel erstmal ordentlich einen erlauben", meint Sick dazu.

Nun, wie ist die ganze Sache zu bewerten? Bastian Sick bleibt seiner Linie treu, er bringt bis auf ein paar meiner Meinung nach mässig begeisternde Gesangseinlagen nichts völlig Neues in sein Programm ein. Aber es funktioniert, die Leute halten sich den Bauch vor lachen und lernen was. Denn dass sich Sick treu bleibt, erlangt seine Berechtigung doch gerade vor allem daraus, dass sich die durchschnittliche Sprachkompetenz im deutschen Sprachraum kaum in Richtung einer Besserung sich zu bewegen im Begriff ist. Also sage ich: Klasse, weiter so, Herr Sick! Sie sind für mich ein Vorbild - sprachliches "Infotainment" vom Feinsten machen Sie da.

-Der Sprachbeschreiber

Montag, 13. Oktober 2014

28: Inspiriert vom Känguru #1: Die Meinung des Autors

"Ich habe ein Manifest verfasst voller Witz und Weisheit", schimpfe ich innerlich brodelnd, "einen Fels in der Brandung stumpfer Pipikaka-Witze, eine Rettungsboje für alle, die etwas faul dünkt an dieser widerwärtigen Weltordnung, ein Buch voll tucholskyschem Witz, voll orwellscher Weitsicht, voll beckettscher Radikalität..." "Voll goethescher Bescheidenheit", wirft das Känguru ein. "Eine grosse Satire über ein idealistisches wenn auch leider wahnsinniges Känguru und seinen flexiblen, belastbaren, innovativen, kreativen, teamfähigen, begeisterungsfähigen und kreativen Begleiter..." "So beruhige dich doch", sagt mein Agent eindringlich, "bitte bitte, die Leute kucken schon..." "LASS SIE DOCH KUCKEN! ICH BIN KÜNSTLER! DIE LEUTE SOLLEN MIR ZUKUCKEN! ICH BIN KÜNSTLER!" "Kleinkünstler", sagt das Känguru. "NEIN NEIN NEIN!" rufe ich, "KÜNSTLER! Nichts geringeres als einen modernen Don Quijote habe ich verfasst! (...)". Aus: Kling, Marc-Uwe: Die Känguru-Offenbarung (2014)

Willkommen zu einer neuen Eintragsreihe, liebe LeserInnen!
Diese Serie greift Ausschnitte aus einer Buch- bzw. Hörbuchtrilogie auf, die in der einleitenden Passage quasi von sich selbst vorgestellt wird und die mich als grossen Fan gewonnen hat. Alles beginnt damit, dass ein kommunistisches Känguru beim Kleinkünstler Marc-Uwe einzieht und damit anfängt, dessen Leben ordentlich auf den Kopf zu stellen. Immer wieder finden sich in den gesellschaftskritischen und zum Schreien komischen Büchern spannende & witzige Passagen, die sich mit Sprache beschäftigen. Steilvorlagen, die ich für Blogposts zu nutzen gedenke.

Beginnen möchte ich mit einer weiteren Passage aus Teil 3, der Känguru-Offenbarung. Deren Thema hat mich in letzter Zeit besonders beim Scrollen auf Facebook beschäftigt:

Ich zeige dem Känguru meinen Becher und es liest: "'Wir sind die erste Generation in der Geschichte, welche die extreme Armut abschaffen kann. Das ist unser Glück, unsere Herausforderung und unsere Verantwortung. -Jeffrey Sachs'". Das Känguru blickt mich an. "Was ist daran lustig?". "Das Kleingedruckte unten". Das Känguru liest vor: "'Das ist die Meinung des Autors und nicht notwendigerweise die Meinung von Starbucks'". "Ist es nicht schön, wenn die PR-Abteilung und die Rechtsabteilung so wunderbar Hand in Hand arbeiten?", frage ich. "Ich finde, andere Konzerne sollten das übernehmen. Zum Beispiel: 'Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. -Antoine de Saint-Exupéry. Das ist die Meinung des Autors und nicht notwendigerweise die Meinung von Fielmann.'". "'Nicht notwendigerweise die Meinung', das ist so feige!", sagt das Känguru kopfschüttelnd. "Das regt mich wirklich auf! Entweder man macht 'ne Ansage oder man hält die Klappe! Aber 'ne Ansage zu machen und sich dann sofort vorsorglich davon zu distanzieren, BÄH! (...) Ich hätte grosse Lust, den Leuten volle Kanne gegen das Schienbein zu treten und danach zu sagen: 'Ich distanziere mich hiermit von dem Tritt gegen das Schienbein!'. (...)".

In Post #5 berichtete ich: Meinen Beobachtungen zufolge werden persönliche Meinungen recht oft sprachlich nicht als solche gekennzeichnet; immer seltener sagen die Leute "ich finde", "meiner Meinung nach" etc. Ich hatte mich damals nach dem Grund dafür gefragt und war zum Schluss gekommen, dass es sich in erster Linie um Bequemlichkeit handeln dürfte. Und was musste ich feststellen? Das ist in vielen Fällen leider nicht zutreffend. Oh nein, das war eine realitätsferne Bilderbuchdarstellung. Die Leute halten ihre Ansichten anscheinend oft tatsächlich für die objektive Wahrheit. Sie sehen zum Beispiel, wie sich jemand bei etwas erfolglos abmüht, und kommentieren: "Ach komm, das ist jetzt wirklich nicht schwer!". Das mag für dich gelten, aber nicht für jeden. Immer wieder erlebe ich etwas vom Sinnlosesten, was man mit Sprache überhaupt anfangen kann: Geschmacksdiskussionen. "Ich mag keine Orangen." "Doch, iss. Orangen schmecken gut." "Nein, die sind voll eklig." Viel Erfolg beim Versuch, herauszufinden, ob Orangen aus objektivem Blickwinkel lecker sind oder nicht. Meine Güte, diese Verallgemeinerungen eigener Ansichten. So ein zeitverschwendender Disput kann ganz einfach durch etwas mehr sprachlichen Aufwand in Form von "ich finde" o.ä. beigelegt werden. Merken Sie sich das!

Und wie uns die Passage aus der Känguru-Offenbarung demonstriert, geht die Sache mittlerweile noch weiter: Die Leute machen grosse Ansagen, und wenn man genauer nachfragt, findet man heraus, dass sie gar nicht wörtlich dahinter stehen. Sie wollten nur ein wenig Drama machen, ein bisschen cool wirken oder im besten Fall eine Diskussion anheizen. Alle drei Arten solcher Falschaussagen gehen mir auf die Nerven. Die einzige, die ich teilweise OK finde, ist die mit romantischen Absichten: "Du bist die schönste und tollste Person auf der ganzen Welt und ich kann nicht ohne dich leben!". Die Wahrheit ist, dass niemand 100%ig hinter dieser süssen Aussage stehen kann. Aber solang der Partner genug für einen ist, wäre es einfach nur doof und unsensibel, ganz differenziert die Fakten auf den Tisch zu legen.

Nein, was mich stört, das sind Falschaussagen, die mit Politik, sozialen Problemen etc. zu tun haben. Auf Facebook boomt das. Immer öfter findet man Bilder und Statusmeldungen mit undifferenzierter, reisserischer Aussage. "Den Frauen allein gehört die Zukunft!" "Das Problem sind die Linken!" "Fuck Israel!". Es ist eben prägnanter, schlagkräftiger, cooler, wenn man so einen kurzen, plakativen Ausruf tätigt. Darunter hitzige Diskussionen in den Kommentaren. Schlecht informierte Hobbyextremisten klicken mit diabolischem Grinsen "Gefällt mir". Und dann erscheint plötzlich ein Kommentar der postenden Person: "Heeyy Leude beruhigt euch mal ich hab das nich so wörtlich gemeeeint LOL".

Meine Frage ist ganz einfach: Warum postest du das dann in deinem Namen?! Warum positionierst du dich in einer Debatte öffentlich mit einem Statement, hinter dem du gar nicht stehst?! Stellen Sie sich vor, jemand geht mit einem T-Shirt in eine Pizzeria, auf dem steht: "I LOVE HAM" und kommt zur Theke. Der Pizzaiolo lächelt und fragt: "Guten Tag, was darf's denn sein? Nein, lassen Sie mich raten: Eine Pizza Prosciutto?". "Oh, tut mir leid, ich steh' nicht so auf Prosciutto!". "Warum tragen Sie dann dieses T-Shirt?!". "Ach soo! Na ja, weil es cool ist :D Der wörtliche Inhalt ist ja nicht so wichtig". Ganz ehrlich: Finden Sie das nicht auch bescheuert? Sich in aller Öffentlichkeit in einer Frage zu positionieren, weil das cool ist, und nicht etwa, weil man tatsächlich dieser Meinung ist? Und dann noch überrascht zu sein, wenn einen die Leute beim Wort nehmen? Ich für meinen Teil zitiere noch einmal das Känguru: "Entweder man macht 'ne Ansage oder man hält die Klappe!". Denn wenn der Graben zwischen Sagen und Meinen aus diesem Trend heraus weiter wächst, dann wird Kommunikation in Zukunft immer anspruchsvoller werden. Sagen Sie doch einfach, was Sie meinen. Einverstanden?

-Der Sprachbeschreiber