Montag, 19. Mai 2014

22: Heitere Sprachspiele #4

Hier kommt Nummer 4 der Sprachspielreihe! Unfassbar, dass mir immer noch Ideen hierfür in den Sinn kommen.

Plural-Endungen finde ich faszinierend. Es gibt reichlich davon: "a", "i", "en", "ata", "een", "usse", "s". Damit spielt man ja gern auch mal unfreiwillig, wenn man den korrekten Plural gerade nicht weiss. Ein Paradebeispiel - meiner Erfahrung nach - ist das Wort "Krokus". Da rätseln die Leute: Sagt man "Kroken", so wie man "Das Virus - Die Viren" sagt? Sagt man "Krokeen", so wie man "Der Kaktus - Die Kakteen" sagt? Nein, man sagt's wie bei "Der Bus - die Busse" - "Der Krokus - die Krokusse". Diesen Plural legt zumindest der Duden fest. Aber diese ganzen Unregelmässigkeiten regen einfach zum Spielen an. Das Wort "Duden" könnte doch auch die Pluralform von "Dudus" sein. Von "Schema - Schemata" könnte man auf "Lama - Lamata" schliessen (funktioniert also auch mit allen Namen [bzw. mit jedem Namus], die auf "a" enden). Und vielleicht sollte man an der Bar "zwei Martini" und "einen Martinus" bestellen. Der Plural von "Status" ist übrigens das selbe Wort mit übertrieben betontem "u". Und ein Wort, das nur im Singular existiert, nennt man "Singularetantum". Natürlich gibt es als Gegensatz auch das "Pluraletantum".

Wenn man im Verlauf eines Textes einen Begriff durch einen anderen ersetzt, der für das selbe steht, so spricht man von "Substitution". Man kann etwa konventionell gestützte Synonyme, Hyperonyme oder Hyponyme (Über- oder Unterbegriffe) benutzen oder etwas zusammenbasteln, das im jeweiligen Ko(n)text gleichbedeutend ist. Letzteres nennt man "Ad-hoc-Substitution". Damit kann man quasi eigene Synonyme erfinden. Das ist hohe Kunst und bietet viel Raum für Humor:



Folgende Bilder sind mir im Internet begegnet. Können Sie das hier entschlüsseln? Hier wollte wohl jemand das Wort "Aquarium" kunstvoll substitutieren.





Sehr schön auch die Umschreibung eines Karussells hier. Wer eine Bezeichnung noch nicht kennt, muss zwangsweise kreativ werden, wenn er/sie auf etwas Bezug nehmen möchte.



Und die Paraphrase hier ist einfach nur Coolness pur. Klingt irgendwie nach einer Science-Fiction-Definition.






Und nun ein komplexes Fantasiekonstrukt von mir und einem guten Freund: Sie dürften in etwa wissen, worum es sich bei einer rhetorischen Frage handelt: "Die rhetorische Frage ist eine Frageform, die keine Antwort erwartet. Sie dient lediglich dazu, eine Aussage stärker zu betonen oder eine implizite, unausgesprochene Verneinung zu erzeugen. 'Wie lange noch, Catilina, willst du unsere Geduld mißbrauchen?', Cicero ('Gebrauche unsere Geduld nicht länger, Catilina') – 'Bin ich etwa deine Putzfrau?' ('Ich bin doch nicht deine Putzfrau!')" (https://www.uni-due.de/einladung/Vorlesungen/poetik/rhetorifra.htm). Was, wenn man nun den Spiess umdreht und die rhetorische Antwort erfindet? Es müsste sich entsprechend um eine Antwortform handeln, die keine Frage voraussetzt. Die Frage müsste gewissermassen durch die Antwort suggeriert werden. Wir stellen uns das so vor, dass man ein Gespräch quasi fragenfrei durchführen könnte, indem man alle Fragen im Voraus errät und beantwortet. Das würde dann so klingen wie jemand, der gerade am Telefon ist: "Hallo! Gut, und dir? Aha, ja, nein, das wäre in Ordnung, ja du auch, tschüss!". Das Konzept krankt wohl vor allem daran, dass die Frage, die von der Antwort suggeriert werden soll, kaum je so eindeutig bestimmbar sein dürfte wie die Antwort auf eine rhetorische Frage. Aber wer schlägt sich bei solchen Posts schon mit Nutzen und Anwendbarkeit herum?

Ein nettes Sprachspiel hat auch die Satire- und Nonsenszeitung "Der Postillon" in petto, und zwar hier. Das Blatt möchte ich Ihnen empfohlen haben - Kalauer-Fans sollten unbedingt die Newsticker-Einträge begutachten.

Zum Abschluss sei noch auf den Sprichwortrekombinator verwiesen. Gute Sache.

Und jetzt ist's aus mit diesem Post. Gehabt euch wohl.

-Der Sprachbeschreiber

Montag, 5. Mai 2014

21: Der Sinn des Sprechens

IMPORTENT ÄNNAUNZMENT
Geschätzte LeserInnen
Aus verschiedenen Gründen habe ich mich dazu entschieden, ab jetzt nur noch alle zwei Wochen einen Blogeintrag zu verfassen. Beim derzeitigen Rhythmus fällt es mir zunehmend schwer, die Qualität hoch zu halten, und die will ich keinesfalls aufs Spiel setzen. Ich danke für allfälliges Verständnis. Nun ohne weitere Umschweife zum Eintrag dieser Woche, oder eben ab jetzt dieser zwei Wochen (die Briten haben sogar ein Wort dafür: Eine Periode von 14 Tagen wird als "fortnight" bezeichnet).

"Eins von den Dingen, die Ford Prefect an den Menschen immer sehr schwer begreiflich fand, war ihre Angewohnheit, sich das Allerselbstverständlichste ständig zu bestätigen und zu wiederholen. Zum Beispiel: 'Schöner Tag heute' oder 'Sie sind sehr groß' oder 'Du meine Güte, Sie sehen aus, als wären Sie in einen zehn Meter tiefen Brunnen gefallen, geht's Ihnen gut?'. Ford hatte sich eine Theorie zurechtgelegt, um für dieses merkwürdige Verhalten eine Erklärung zu finden. Wenn die Menschen ihre Lippen nicht ständig in Bewegung halten, dachte er, rosten sie wahrscheinlich ein. Nach ein paar Monaten Nachdenken und Beobachten gab er diese Theorie zugunsten einer neuen auf. Wenn sie ihre Lippen nicht ständig in Bewegung halten, dachte er, fangen ihre Gehirne an zu arbeiten. Nach einer Weile verwarf er auch diese Theorie, weil sie ihm allzu zynisch vorkam, und er gelangte zu dem Schluß, daß er die Menschen eigentlich ganz gern habe. Trotzdem trieb es ihn manchmal zur Verzweiflung, über wie wahnsinnig viele Dinge die Menschen überhaupt nichts wußten." (Aus: Adams, Douglas: Per Anhalter durch die Galaxis)

Das da oben war die Inspiration, hier folgt das Produkt: Herzlich willkommen zu einer kleinen Abhandlung zum Thema "kommunikative Funktion - Warum sagen wir, was wir sagen?". Fangen wir den Post dieser Woche an, indem wir den Begriff der kommunikativen Funktion ausreichend klären. Man kann es eigentlich recht simpel zusammenfassen: Die kommunikative Funktion bezeichnet das Ziel, die Absicht, die wir mit unseren sprachlichen Äusserungen verfolgen, auch "Illokution" genannt. Ein Modell dazu finden wir in den Textfunktionen. Es gibt vier Haupt-Textfunktionen und ein paar seltenere Unterfunktionen. Bei den meisten Texten kann man eine einzelne zentrale Funktion bestimmen, aber oft finden sich mehrere verschiedene Funktionen in Texten. Folgende Hauptfunktionen gibt es:

Die informative/referentielle Textfunktion
Äusserungen mit dieser Funktion wollen einfach nur Information vermitteln. Sie tun dies in der Regel auf eine nüchterne, objektive Art. Typische Beispiele sind Nachrichtentexte oder die Wettervorhersage.

Die expressive Textfunktion
Äusserungen dieser Art sind klassischerweise subjektiv. Es geht vor allem um Emotionen, die auf eine Art übermittelt werden, die standardmässig selbstdarstellend und "auffällig" ist. Beispiele sind etwa Erlebnisschilderungen und Tagebucheinträge.

Die appellative Textfunktion
Diese Äusserungen fordern den Empfänger zu etwas auf. Als Beispiele kann man etwa Werbeanzeigen oder Gesuche anführen.

Die phatische Textfunktion
Solche Äusserungen dienen lediglich der Beziehungspflege. Sender und Empfänger sind sich praktisch gleichwertig gegenübergestellt. Typische Beispiele wären Glückwünsche, Postkarten oder Smalltalk.

Nun zum Diskussionsteil. Ich will im Stile eines armchair linguist (einer, der philosophiert statt empirisch untersucht) über das Thema "Sinn des Sprechens" schreiben. Wie verhält sich das mit den Funktionen beim mündlichen Sprachgebrauch? Schenken wir denen da Beachtung?

Da der mündliche Sprachgebrauch sehr spontan vonstatten geht, muss davon ausgegangen werden, dass sich die Leute kaum je bewusst Gedanken zur genauen Funktion ihrer Äusserungen machen. Nicht einmal ich als Hobbylinguist tue das beim Sprechen, sondern nur, wenn's ums Schriftliche geht. Sollten sich das ändern? Schwer zu sagen. Aber wissen Sie: Manchmal frage ich mich, ob die Textfunktion teilweise nicht doch berücksichtigt wird. Ob es nicht sein könnte, dass Menschen quasi darauf programmiert sind, anhand der Funktion ihrer Äusserungen beim Sprechen Selektion zu betreiben. Ich gehöre nämlich zu der Sorte von Menschen, die, mal euphemistisch (untertreibend) ausgedrückt, nicht gerade die grössten Quasselstrippen sind. Es scheint mir, als wäre unter eher schweigsamen Menschen eine spezielle Form der Sprachökonomie (möglichst wenig Aufwand, möglichst grosser Nutzen) verbreitet. Ich behaupte folgendes, gestützt auf meine Erfahrungen und Beobachtungen:

Die meisten introvertierten Menschen haben - teils bewusst, teils unbewusst - Mühe damit, Äusserungen zu machen und auf Äusserungen zu antworten, hinter denen sie keinen direkten, praktischen Sinn ausser dem "Kontakt haben" erkennen können; sie haben also in erster Linie Probleme mit phatischen Äusserungen. Diese sind "Äusserungen um ihrer selbst Willen" - wie zum Beispiel das spontane Äussern eines Gedankens oder das Erzählen irgend eines Erlebnisses. Es ist kein direkt erkennbarer Nutzen dahinter erkennbar, man sagt etwas nur oder hauptsächlich deshalb, weil man Kontakt haben will. Beim Smalltalk steht kein sachliches Informieren, kein Erklären und kein Überzeugen im Vordergrund. Wozu und wie soll man denn dann überhaupt etwas sagen? Und was soll man da bloss sagen, beim Sprechen um des Sprechens Willen, wenn man ein so schwammiges Ziel hat? Damit kämpfen meiner Meinung nach viele introvertierte Menschen - auf dem phatischen Gebiet fühlen sie sich unsicher und ratlos, und zwar vielleicht deswegen, weil sie kein konkretes, fassbares Ziel verfolgen können und sich aufgrund ihrer zurückhaltenden Natur das Sprechen ohne eine durch ein klares Ziel vorgegebene Struktur nicht so gewohnt sind. Sie laufen Gefahr, beim Sprechen zu viel nachzudenken, wodurch sie gefühlskalt, teilnahmslos, schüchtern und ungeschickt wirken können.

Die meisten extrovertierten Menschen kennen aus meiner Sicht kaum solche Barrieren. Sie sind es sich gewohnt, einfach um des Sprechens Willen mit jemandem zu reden, sprechen auch gern mal das Offensichtliche aus und erzählen liebend gern aus ihrem Leben. Sie haben wohl dank ihrer offenen Art einfach die nötige Erfahrung damit, "ziellose", beziehungspflegende Gespräche am Leben zu erhalten. Aber Achtung: Sie laufen Gefahr, beim Sprechen zu wenig nachzudenken, wodurch sie unsensibel, verwirrend, einfältig und nervig wirken können.

Die Moral von der Geschicht': Beim Schreiben ist es von Vorteil, sich eingehend zur Textfunktion Gedanken zu machen. Aber beim alltäglichen Sprechen braucht man den Funktionen meiner Ansicht nach wenig bis gar keine Beachtung zu schenken. Die alltägliche soziale Interaktion zwischen Menschen braucht nicht immer einen definierten Sinn mit unmittelbar erkennbaren Ergebnissen zu haben. Ist es nicht gerade die "Unnötigkeit", die die phatischen Gespräche so einzigartig und irgendwie menschlich macht? Vielleicht ist es gerade gut, zu wissen, dass der andere nur um des Kontakts Willen mit einem spricht..? Denken Sie drüber nach.

-Der Sprachbeschreiber