Montag, 24. Februar 2014

11: Doesn't remind me of anything

Zuerst ein Update: Gute Leute, die hohe Besucherfrequenz ist im letzten Monat nicht gesunken, im Gegenteil: Mein Blog wurde jetzt nach etwas mehr als 2 Monaten schon über 2'000mal angeklickt! Das ist einfach nur KLASSE, und auch für diese neuerlichen beachtlichen 1'000 Klicks/Monat möchte ich mich bei allen Lesern herzlich bedanken. :D

Und nun: Blogeintrag Nr. 11.
Neulich beim Zappen entdeckt: Das Sport Quiz auf Sport 1, natürlich live. Der unterbezahlte Quizmaster ist der Verzweiflung nahe:


Seit 2 Stunden und 21 Minuten versucht er nun, 42'000 Euro, ein iPhone 5s, ein iPad Air und eine PlayStation 4 an den Mann oder die Frau zu bringen. Doch leider hat der Urheber des Rätsels einen schweren Fehler begangen: Er hat nicht nur die gesuchten "deutsche Städte" [sic] 1 in seinem Raster versteckt, sondern auch zwei Ortschaften in anderen Ländern. Und dann gibt es noch eine deutsche Stadt, die weder von oben nach unten noch von links nach rechts gelesen werden kann (Aue). Wie soll der durchschnittliche Sport Quiz-Zuschauer diesen fiesen Fallen entweichen? Offenbar war bisher niemand dazu in der Lage. Es ging so weit, dass man die falschen Städte rot durchstreichen, zusätzliche Hinweise einblenden und auf einer Tafel im Hintergrund deutlich die falschen Lösungen aufzeigen musste.
1= sic = so lautet die Quelle; Hinweis darauf, dass eine Auffälligkeit in einem wörtlichen Zitat eine Eigenheit der Quelle selbst ist und kein Versehen der/des Zitierenden (steht gewöhnlich in Klammern und gelegentlich durch ein Ausrufezeichen verstärkt hinter der entsprechenden Stelle) (duden.de)

Tja, Nomen sind eben nicht einfach Nomen, nicht jede Stadt ist eine deutsche Stadt. Nomen sind "signifiants", Sprachzeichen, die irgendwann mal irgendwer für Objekte und Konzepte eingeführt hat, die sogenannten "signifiés". Man kann solche Begriffe mit einer Merkmalsmatrix voneinander abgrenzen. Dass Rom und Wien keine deutschen Städte sind, lässt sich in einer solchen Matrix festhalten. Hier das erste Beispiel aus der Google-Suche:


Solche Eigenschaften sind aber meist bei Weitem nicht das Einzige, das an Begriffen hängt. Es gibt etwa noch die Konnotationen, die den Glauben an die Existenz von echten Synonymen erschüttern. Der Begriff Hund ist nicht wirklich "belastet", das Wort Köter aber ist klar negativ konnotiert, und deswegen kann man eigentlich nicht mehr von einem Synonym sprechen. Dazu kommt etwas, was es uns erschwert, uns in einander hineinzuversetzen: Jeder und jede verbindet während seinem Leben individuell Konnotationen mit Begriffen und lernt, Dinge auf eine Art zu benennen, die sich von derjenigen vieler anderer unterscheidet - mal minimal, mal gravierend. Viele Dinge kann man gar nicht auf Worte herunterbrechen, ohne dass die Konzepte verloren gehen, die man selbst damit verbindet: Oft löst man bei den Empfängern seiner Mitteilungen andere Konzepte und Emotionen aus, als man möchte. Viele Worte sind nicht einfach Begriffe, an denen jeweils eine einzige, normierte Bedeutung und Konnotation klebt! Wir können nicht einfach einen Gedanken eins zu eins in den Kopf unseres Gegenübers transferieren. Wir formulieren Mitteilungen aus Sprachzeichen, die das Gehirn des Empfängers entschlüsseln und zu einem sinnreichen Ganzen zusammensetzen muss. So gesehen ist es doch viel verständlicher, dass es Verständnisschwierigkeiten gibt, nicht?

Besonders schwer wird's natürlich bei abstrakten Begriffen, bei Gefühlen und ähnlichem. Jeder gewichtet Adjektive anders - mancher Liebender dürfte etwa das Problem kennen: Man möchte ein grosses Kompliment oder eine sanfte Kritik aussprechen, und der andere stuft die Wortwahl als unbedeutend bzw. gravierend ein. Für einen Freund von mir bedeutet etwa das Wort "härzig" ungemein viel. Wenn er eine Frau als "härzig" bezeichnet, ist das schon ein halber Heiratsantrag. Aber vielen Frauen bedeutet dieses Kompliment wesentlich weniger; sie fühlen sich zum Teil sogar fast beleidigt. Auch bei anderen Gefühlen gibt's Probleme: Wie artikuliert man sich, wenn man ein psychisches Leiden hat? Wie beschreibt man ein Gefühlschaos, das man noch nie gespürt hat, und für das irgendwie kein Wort passend erscheint? Tja, nicht nur Zitronen, Schwämme und Pickel sind nur schwer mit Worten auszudrücken. Haha. Solche Probleme haben manches Mal zur Einführung von neuen Begriffen in einzelnen Sprachen geführt, die deswegen einzigartig sind und als "unübersetzbare Worte" bezeichnet werden. Das Wort "Schadenfreude" im Deutschen zum Beispiel. Hier mehr davon. Und wie etwa bibelfeste Zeitgenossen wissen dürften, kennt beispielsweise das Griechische verschiedene Worte für das, was wir auf Deutsch in der Regel unter "Liebe" zusammenfassen, um den verschiedenen Dimensionen dieses Begriffs gerecht zu werden: Der freundschaftlichen Dimension (philia), der leidenschaftlichen (eros), der familiären (storgä), der selbst- und bedingungslosen (agape) und der barmherzig- mitleidenden (eleos). Streng genommen gibt es noch ein sechstes, das für das "sympathisch finden" steht (sympateo). Ich finde das cool, weil mir scheint, dass dadurch die Sprache der Vielschichtigkeit dieses Themengebiets gerechter wird - man kann präziser Konzepte in anderen Köpfen aufrufen.

Für Probleme, die die von Person zu Person verschiedenen Konzepte und Konnotationen hinter Wörtern mit sich bringen, habe ich leider gerade keine brauchbaren Tipps am Start. Aber ein Bewusstsein dafür ist sicher ab und zu hilfreich (linguistic awareness!). Ich schliesse mit dem Song, der mich zu diesem Eintrag inspiriert hat. Chris Cornell von Audioslave singt von den Dingen, die er mag, weil sie in seinem Kopf nicht mit Erinnerungen und entsprechenden Emotionen verknüpft sind. Was daran so toll ist, darüber liessen sich bestimmt auch hochspannende Diskussionen führen. Aber nicht hier. Für solches ist dieses Alter Ego nicht zuständig. Wiedersehen!

- Der Sprachbeschreiber

Montag, 17. Februar 2014

10: En Usfluug ins Baaseldütsch

Welcome. Häärzlig willkomme.

Ich spreche Baseldeutsch, den einzigen Schweizer Dialekt, der aus dem Niederdeutschen stammt. Ich bin zwar nicht direkt Stadtbasler, aber immerhin Kantonsbewohner von Basel-Stadt und fühle mich deswegen durchaus als "Bebbi" ("Beppi" ist die Altbasler Spitznamenform von "Johann Jakob", und weil im 18. und 19. Jahrhundert viele Basler so hiessen, blieb der Name gewissermassen als Sammelbegriff an den Einwohnern hängen... aber irgendwie sagt das hier trotzdem kaum einer). Und ich besitze das Neue Baseldeutsch-Wörterbuch der Christoph Merian-Stiftung. Dieses ist laut Buchrücken "das Standardwerk für den heutigen Wortschatz der Baseldeutschen Mundart. Ein Forschungsteam am Deutschen Seminar der Universität Basel hat es mit einer breit angelegten Forschung während mehreren Jahren aufwändig erarbeitet." Bei einer Sprachvarietät wie dieser kann man natürlich nur deskriptive Werke herausbringen, also solche, die lediglich beschreiben und festhalten, wie geredet wird, und niemanden etwas vorschreiben. Es ist eine junge Ausgabe (2010), und folglich findet man darin auch bereits moderne Jugendsprache ("Du bisch son e Holz", "anderscht gäil", "jääs") und die Anmerkung, dass die meisten sogenannten Altbasler Vokalentrundungen, darunter "e" statt "ö" und "i" / "y" statt "ü" (z.B. scheen, Hiigel) sowie "ei" statt "öi" und "ai" statt "äi" (z.B. Gnei, Bai) ausser bei der Fasnacht im alltäglichen Gebrauch definitiv out und dementsprechend im Wörterbuch nicht mehr vorhanden sind. Aus meinen Lieblingseinträgen dieses Werks habe ich etwas zusammengebastelt, um Ihnen, geschätzte(r) sprachinteressierte(r) Leser(in), eine schöne Überdosis an coolen Ausdrücken aus diesem Dialekt verabreichen zu können.

Keine Angst, nicht einmal ich selbst kannte zunächst jede einzelne dieser Bezeichnungen und Redewendungen, zumal einige davon im Wörterbuch auch mit "veraltet" oder "veraltend" gekennzeichnet sind. Unten habe ich eine Übersetzung angefügt. Wenn Sie die beiden Texte parallel lesen wollen, öffnen Sie die Seite einfach nochmal in einem separaten Fenster und lassen sich die beiden nebeneinander anzeigen (bei Windows: per Rechtsklick auf der Taskleiste unten. Mit dieser Ansicht arbeite ich übrigens auch, wenn ich ein elektronisches Dokument übersetze!). Dann zoomen Sie etwas raus, damit sie alles lesen können, und scrollen beim einen Fenster zur baseldeutschen Version und im anderen zur hochdeutschen Übersetzung.

This is pure Baseldytsch. In your face. Diräggt in d Wisaasche.

BASELDEUTSCHER MONOLOG

"Jeeggerli näi! Son e Däsche, die Veronika, läng mr s Gweer! E Käärnlibiggere mit Kaabisbletter am Dänggwäärzli! Jetz han i scho gmäint, i häig sen am Bändel und könn ere d Maarggesammlig go zäige! Aber jetz zerscht emool äins non em andere wie z Pariis. Mr sin jo im Grischtmonet, kurz vor em Altjooroobe, im Kino gsi, läider in dr Gniggstaarloosche, aber i has äinewääg nid könne gniesse, d Nigge het irgendwie Giigelisuppe ghaa. Dodrmit kasch grad abfaare, han i dänggt, suscht hauts mr denn dr Nuggi zem Muul us! Sone Sauglattischtin, het s Gfiel si mies dr Doggter mache bim Sprüch risse. Die hätt an sällem Oobe allwääg sogaar in eme kadoolische Bättschopf dr Spruchhuffe gspiilt. Aber si isch drum nid grad vo Meerggige, si het daas jo noochzue an jedere Hundsverlochete gmacht wo mr gsi sin. Jä nu, jetz isch Essig mit däm Film, hani dänggt! Nochär aber grad abdiigere, ufen Oriäntexpress, häi ins Bierfläschegellert, dr Stäi voor d Hööli ruugele und am Küssi go loose. Aber wäisch, wenn dr dää Bääse denn wider per exgüüsi aafoot Zugger ins Füüdle bloose, denn muesch scho s Bleischilee aaleege, suscht heissts denn: Guet Nacht am Säggsi! Do mäinsch allewiil wiider, si wöll di jetz doch abschlägge. Was kunnt dääre Katz äigedlig aa, äim dr ganz Obe go verbaschigunggele, bis me donnerschiessig duubedänzig wird? Do bini schöön ins Gläppergässli gloffe, bi all dääre Schliimmschisserei. Ich, sone junge Drüübel, drumpier mi dääwääg, dasch doch für ins Dierbuech, so öppis! S isch nit zum Saage!

Damit i mr vo dääre nüt me abläschele loss, binere nochhäär halt uf d Kappe gstiige, damit i das ändlig emolle abghaa ha. I bii halt käi Wäichbächer! Die hets richtig hindere gsträält, wonere d Boschtoornig verlääse ha. Won i sen abbutzt ghaa ha, het si nadierlig grad wider miese aafoo zünde. Zundgüggelrot isch das Gschüüch woorde. Es seig also en Ärdbodeschand mit miir, het si gwäffelet, i seig e Lumpehund, e feertige Dildap. I glaub, das Zwätschgeliisi hätt mr am liebschte non e Gröllhaldesaxofon übers Beeri bänglet, dass i s Füür im Elsass gsee. Broscht Näägeli, und sunscht bisch gsund? Näi loos, kasch mr ins Hietli gumpe, du Zwaschpel, hani gsäit. Gang wider zrugg uf Blätzbums, bevor d no e Sträiffig bikunsch. I hätt nüt drgege, wenns di bim häi däppele no däät schnätzle!

Jäjoo, s nägschtmol mach i denn lieber wider äin uf Gmietsatleet, denn gits Finggekino mit eme guete Glöpfmoscht, als Äinzelmassge oder mit de Buebe, mit eren ordentlige Dischgrachede vorhäär, und wenns Katze haagled, do gits käini Biire! Dört han ich denn dr letscht Zwigg an dr Gäissle, wird nid derangschiert, ka mi ohni Zwanzig-ab-Achti-Schnuure in d Kischte pflaatsche und ha drno sicher käi Gooschmaar. Und irgendwenn bini denn au emoll e Glögglifrosch und driff statt somene Duech e schööns Bischuu, wo mr besser basst."

ÜBERSETZUNG HOCHDEUTSCH

"Herrgott! So ein blödes Weib, diese Veronika, ich kann's nicht glauben! 'Ne Pflanzenfresserin mit Segelohren am Kopf. Ich dachte schon, wir wären jetzt zusammen und ich könne mal mit ihr in die Kiste springen. Aber jetzt erst mal alles der Reihe nach. Wir waren ja im Dezember, kurz vor Silvester, im Kino, leider in der vordersten Reihe, aber ich konnte es sowieso nicht genießen, die Nicky war die ganze Zeit nur mit Kichern beschäftigt. Hör mir bloß auf damit, dachte ich, sonst verlier' ich noch den Verstand! Die meint, sie sei die Witzigste überhaupt, und hört nicht auf, Sprüche zu reißen. Die hätte an dem Abend wohl sogar in 'ner katholischen Kirche den Witzbold gemacht. Aber sie merkt halt nicht, wie sie wirkt, sie hat sich ja an fast jedem doofen Anlass so aufgeführt, an dem wir waren. Tja, der Film ist im Eimer, dachte ich mir! Nachher aber gleich abhauen, ins Tram Nummer 8, heim ins untere Kleinbasel, die Tür zu und schlafen gehen. Aber weißt du, wenn das Weib dann wieder so scheinheilig anfängt, sich bei einem einzuschleimen, dann muss man sich schon wappnen, sonst geht das nicht gut aus! Da meint man immer wieder neu, sie wolle jetzt doch rummachen. Was denkt sich diese Braut eigentlich dabei, einem den ganzen Abend durcheinander zu bringen, bis man völlig wahnsinnig wird? Da hab ich mich ganz schön vertan, bei dieser ganzen Heuchelei. Ich, so ein junger Typ, greife so daneben, das ist doch verrückt, sowas! Kaum zu glauben!

Damit ich mich von der nicht mehr einwickeln lasse, hab ich ihr nachher halt die Meinung gegeigt, damit ich das endlich mal erledigt hatte. Ich bin halt kein Feigling! Die ist vielleicht erschrocken, als ich ihr die Leviten gelesen hab. Als ich mit der Standpauke fertig war, musste sie natürlich gleich wieder Streit anfangen. Knallrot wurde die Hexe. Es sei eine Schande, motzte sie, ich sei ein Dreckskerl, ein totaler Blödkopf. Ich glaube, dieses dumme Stück hätte mir am liebsten noch 'n Alphorn über den Schädel gezogen, dass ich die Sterne sehe. Na klasse, sonst noch 'n Wunsch? Neenee, du kannst mich mal, du zappliges Ding, hab ich gesagt. Geh wieder zurück nach Birsfelden, bevor du noch 'n Schlaganfall kriegst. Ich hätt' nix dagegen, wenn du beim heim laufen noch auf die Schnauze fallen würdest!

Wie auch immer, nächstes Mal geb ich lieber wieder den Phlegmatiker, dann gibt's Heimkino mit 'nem guten Schampus, ganz allein oder mit den Jungs, und davor ordentlich was zu essen, auf jeden Fall, daran gibt's nix zu rütteln! Da hab ich dann das letzte Wort, werde nicht gestört, kann mich ohne miese Laune ins Bett schmeißen und hab danach sicher keine Alpträume. Und irgendwann bin ich dann auch mal 'n Glückspilz und treffe statt so 'nem schrägen Vogel 'ne hübsche, liebenswerte Frau, die mir besser passt."

Hinweis: Alle Ereignisse und Personen in dieser Geschichte sind fiktiv und beziehen sich nicht auf reale Geschehnisse oder Menschen. I ha Gugguus verzellt.

:D Je besser ich ihn kennen lerne, desto mehr liebe ich meinen Dialekt. Dann verbleibe ich mit einem herzlichen "Aadie beschtens!".

-Dr Sproochbeschriiber

P.S.: Ja, ich weiss, es ist noch eine Weile hin bis zur Basler Fasnacht. Aber wie Sie aus Post 1 wissen sollten, beteiligt sich dieser Blog nicht an saisonalen Spezialausgaben-Hypes. *Im Stil des Lällekeenig die Zunge rausstreck*

Montag, 10. Februar 2014

9: Plädoyer für die Ehre des Übersetzers

Neulich bei einer Wiederholung der meiner Meinung nach ziemlich amüsanten, schon etwas älteren Schweizer Sitcom "Fascht e Familie": Hobbyschauspieler Hans erzählt von einem seiner Theatererlebnisse. Dabei fällt der Satz: "Und da hät mich d Muse küsst!". Im hochdeutschen Untertitel, den ich aus Interesse seit dem zweiten Semester am Institut für Übersetzen und Dolmetschen immer wieder gern einschalte, steht: "Und da küsste mich die Maus."

Das Untertiteln gehört auch zum Übersetzen - man übersetzt vom mündlichen in den schriftlichen Kanal. Warum dieses Thema? Weil ich das Gefühl nicht los werde, dass die Tätigkeit des Übersetzers von vielen massiv unterschätzt wird. Mir ist kürzlich in den Sinn gekommen, dass mich dereinst vor Beginn meines Studiums eine Bekannte fragte, ob Übersetzer nicht ein langweiliger Beruf sei, weil man ja immer nur Texte in einer anderen Sprache aufschreiben müsse. Sofort nach diesem Flashback stand fest, dass ich hier in meinem Hobbylinguistenblog gegen diese hoffentlich nicht allzu verbreitete Meinung vorgehen würde. Denn jetzt, nach ein paar Semestern am IUED, habe ich ein paar handfeste Argumente parat. Schauen Sie sich nur mal das Bild rechts an. Darauf sehen Sie englische Wörter, und darunter die verschiedenen Arten ihrer Verwendung (die Details sind unwichtig, es geht um die Menge). Eine andere Verwendungsart bedeutet eine andere Übersetzung. Und da ist der Kotext, das direkte Textumfeld des Wortes, noch nicht berücksichtigt (der Kontext besteht aus Paralleltexten, und wie man "parallel" schreibt, merken Sie sich am besten so: In der Mitte steht "alle")!

Mal überlegen: Wer macht fremdsprachige Literatur und Filmkunst für eher oder komplett monolinguale Menschen geniessbar? Wer ermöglicht die korrekte, kohärente und konstruktive Kommunikation zwischen Sprechern verschiedener Sprachen, sei es privat, im Spital, vor Gericht, in der Schule, in der Wirtschaft oder in der Politik, wie gerade wieder gesehen beim World Economic Forum? Wer macht Reden, Konferenzen, Presseberichte, Regelwerke, Verträge oder Enzyklopädien innerhalb einer oder zwischen zwei Sprachen für das jeweilige Publikum verständlich? Nein, das kann nicht jeder. Mir scheint, als sei der in Zeiten der Globalisierung und der wachsenden Vernetzung immer mehr gefragte Beruf des Übersetzers in die selbe Gruppe geraten wie etwa der des Lehrers: Die, von denen viele vorlaute Laien glauben, sie könnten das auch. Aber für beide Metiers gilt: Man muss wissen, worauf man sich einlässt, und es braucht Übung, Übung und nochmal Übung.

Das Bild oben haben Sie schon gesehen - zahllose Wörter haben nicht einfach ein einzelnes Pendant pro Fremdsprache. Aber das ist erst der Anfang der Übersetzungsproblemquellen. Redewendungen, Wortspiele oder kulturgebundene Metaphern sind fast ausschliesslich nie "direkt" übersetzbar. Einen Text, der sich auf das Kulturwissen seines Sprachgebiets stützt, kann man niemals ohne das Ergreifen entsprechender strategischer Massnahmen in eine andere Kultur übertragen, und auch Fachchinesisch muss dem Zielpublikum angemessen übermittelt werden. Das ist alles andere als langweilig - da ist haufenweise Kreativität gefragt! Aber Vorsicht: Das Spiel hat Regeln, denn bei all dem Durcheinander muss das Endprodukt dann auch noch idiomatisch und angemessen klingen - so, wie man es in der jeweiligen Kommunikationssituation in der Zielsprache, also der Sprache, in die man übersetzt, eben sagen würde. Da sehe ich die meisten Probleme unter Anfängern - viele kleben zu stark am Ausgangstext. Ein simples Beispiel dafür ist ein Fehler, den ich während der Schulzeit immer wieder in verschiedenen Variationen hören durfte: "Das hat man ja nicht können wissen!". Dahinter verbirgt sich ein sogenannter syntaktischer Negativtransfer, Ausgangssprache Schweizerdeutsch ("Das het me jo nid könne wüsse!"), also die zu direkte, fälschliche Übertragung einer Satzstruktur aus dem Schweizerdeutschen, deren Resultat grammatikalische Korrektheit und Idiomatik vermissen lässt.

Das Feilen an der translatorischen (übersetzerischen) Kompetenz und die damit verbundene volle Ausschöpfung des eigenen Vokabulars und sonstigen Sprach- und Kulturwissens etc. führt in der Regel dazu, dass man auch als ehemaliger Schulsprachunterrichtmusterknabe an seine Grenzen stösst und eindrücklich vor Augen geführt bekommt, wie gut es um die tatsächliche Sprachkompetenz denn nun bestellt ist, in Mutter- genauso wie in Fremdsprachen! Was muss man noch können? Effizient recherchieren, Wörterbücher konstruktiv benutzen, ein möglichst breites Sprach- und Kulturwissen zur Reduktion der Abhängigkeit von den eben genannten Kompetenzen besitzen, schnell und genau arbeiten, mit Computern und Übersetzungsprogrammen umgehen und vor allem auch die oft grosse Verantwortung tragen können, was durch Beispielfälle wie diese hier klar wird.

Die Haltung eines Übersetzers soll/kann nicht sein: "Ich schreibe jetzt diesen Text in einer anderen Sprache auf", sondern eher: "Wie würde man das Gemeinte in dieser Sprache und Kultur ausdrücken?". Deswegen der italienische Spruch "Traduttore, traditore!": Übersetzer sind Verräter, denn im Normalfall kann man schlicht nicht genau das gleiche in zwei verschiedenen Sprachen ausdrücken. Bei vielen Textsorten macht das aber nicht viel aus, solange das gewünschte Ziel erreicht wird. Und im literarischen Sektor, wo die Meinungen über Sinn und Unsinn einer Übersetzung stets auseinander gehen, biete ich folgenden Vergleich an: Die Übersetzung eines Buchs oder Films ist auf eine Art wie die fotografische Dokumentation einer Landschaft. Das Resultat kann bei geschicktem, kompetentem Vorgehen immer noch sehr hübsch sein, und es reicht ohne Weiteres für die aus, die dort gerade nicht selbst hin können, oder die nicht so aufs Reisen versessen sind. Aber klar ist: Es ist niemals dasselbe wie ein Besuch vor Ort. Der Fokus auf den Bildern ist der des Übermittlers, und das Originalfeeling der Umgebung bleibt denjenigen vorbehalten, die verreisen können. Mehrsprachigkeit öffnet viele Türen.

Was sagen Sie? Maschinelle Übersetzung? Als Ersatz für menschliche Übersetzer? Die Forscher wähnten sich immer wieder kurz vor dem Durchbruch, was das anbelangt. Aber dann geschah wieder sowas in dieser Art:


Nein, die Arbeit eines menschlichen Übersetzers können die Maschinen nicht übernehmen. Aber Computer sollen unterstützen, das können sie hervorragend. Elektronische Wörterbücher soll man benutzen, selbst ein trainiertes Übersetzerhirn kann denen nun mal nicht das Wasser reichen (Bei folgendem Test können Sie mal schauen, wie englischwörterbuchabhängig [Adjektiv des Monats, mindestens] Sie etwa sind. Bei mir kam folgendes Ergebnis raus: "On the basis of your results, we estimate you know 46% of the English words. This is a fairly high level for a native speaker." :D). Und das Benutzen solcher Wörterbücher lohnt sich nicht nur, wenn man einen Ausdruck nicht kennt oder nicht präsent hat, sondern auch dann, wenn einem die im Kopf gefundene Variante nicht passen will. Deshalb arbeite ich mit Synonymwörterbüchern wie jenem auf synonyme.woxikon.de und elektronischen Ressourcen, die viele verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten für Wörter anbieten, hauptsächlich de.glosbe.com, dict.cc und linguee.de. Glosbe und Linguee zeigen Übersetzungsbeispiele aus der Praxis (werden beim Übersetzen mit Computerhilfsprogrammen in sogenannten Translation Memories gespeichert), bei Dict und Linguee finden sich auch Redewendungen und bei Linguee auch Übersetzungen von speziellen Begriffen wie Firmennamen, Buchtiteln etc. (nachträglich ergänzt nach Hinweis eines aufmerksamen Lesers. Danke, Christian!) Redewendungen stellen aber den einzigen Fall dar, in dem man einen elektronischen Helfer mit mehr als einem Wort auf einmal füttern sollte. Wie wenig sinnvoll nämlich elektronische Satztranslation ist, können Sie beim Bad Translator amüsant überzeichnet mit englischen Sätzen austesten.

Ich freue mich schon jetzt auf meine spannende, abwechslungsreiche und wichtige Tätigkeit als Übersetzer für Englisch-Deutsch, Spanisch-Deutsch und vielleicht auch teils Deutsch-Englisch. Ein Übersetzer ist übrigens nicht dasselbe wie ein Dolmetscher. Er konzentriert sich auf die schriftliche Domäne. So, ich hoffe, der Respekt befindet sich nun auf einem gesunden Niveau. Dann sind Sie für diese Woche entlassen. Machen Sie's gut. Wenn Sie mögen. Soll ja kein Befehl sein, auch wenn's so klingt. :P

-Der Sprachbeschreiber

Montag, 3. Februar 2014

8: Say the right thing

Je älter ich werde, desto mehr Werbungen widern mich an. Wie die Werbebranche mittlerweile sprachlich vorgeht, das geht mir immer öfter so richtig auf die Nerven. Es sind nicht nur die oft schlechten Wortspiele wie bei "Husten, wir haben ein Problem" von Hustensafthersteller Prospan. Oft wird schlicht und einfach gemogelt oder zumindest nicht die ganze Wahrheit gesagt. In Zeiten der Spezialisierung ist anzunehmen, dass mittlerweile ganze Teams für das Verfassen solcher Texte zusammensitzen. Was gibt man seinem Produkt sprachlich mit, um es den Leuten schmackhaft zu machen? Da gilt es, den sprachlichen Fokus richtig zu wählen. Say the right thing.


Die Leute hinter diesem Plakat verstehen sich bestens darauf. Der Fokus wechselt vom Ausgeben zum Einkassieren. Denken Sie daran: Wenn Sie den Fernseher einfach im Regal lassen, "schenken" die Ihnen den ganzen Preis. Es geht aber natürlich noch viel dreister. Ich kann ja schon Slogans wie die von M&M's ("Jeder will sie haben") oder McOptik ("Macht glücklich!") oder die Toffifee-Werbung (Es wird gesagt, die Differenzen in der Familie könnten durch Toffifee überbrückt werden, und so sind durch den Konsum immer alle glücklich vereint) nicht leiden, die pauschal und plakativ ihre Produkte vergöttern. Meine Güte, und die "Merci"-Schokolade! Die Idee mit dem Namen und der Werbung voller dankbarer Menschen ist ja ganz nett, aber vor allem ist das auch eine krasse Marketing-Masche. Dankbarkeit als Kaufauslöser. Oder wie beim Fondue von Gerber noch etwas direkter ausgedrückt: "Es git immer en Grund". Schauder. Aber passen Sie mal auf, jetzt wird's richtig dreist:


Was haben wir hier? Grossartig, Süssigkeiten ohne Fett! Was kann da noch schief gehen? Ein unglaublich gerissener Marketingmensch muss hinter dieser Beschriftungsstrategie stecken. Drehen wir die Packung mal um:


Zucker und Glukosesirup an erster Stelle! Zum Glück wird das im Körper nicht zu Fett umgewandelt, sonst würde man ja am Ende doch zunehmen! Eine äusserst clevere Wahl des Fokus. Der Laie glaubt, er halte das gesündeste Produkt der Welt in seinen Händen. Es wird etwas auf die Packung geschrieben, was in Tat und Wahrheit nichts sehr besonderes ist und einen falschen Eindruck erweckt, wenn man nicht genauer darüber nachdenkt. Auch bei einem Migros-Joghurt hat sich einer eine solche Masche ausgedacht: Man kippte Zuckersirup rein und schrieb frech auf die Etikette: "0% Kristallzucker". Linguistische Perfidität, vom Feinsten und vom Gemeinsten. Die wussten doch ganz genau, dass viele Leute das Bestimmungswort "Kristall-" beim Kaufentscheid nicht genügend einrechnen und folglich spontan nicht darauf kommen würden, dass der Zucker ganz einfach in einer anderen Form beigefügt worden sein könnte. Solche Schwindeleien deckt regelmässig der Kassensturz auf. Eine grossartige Sendung. Und übrigens, das Beste an der Yoghurt Gums-Packung habe ich Ihnen noch gar nicht gezeigt: 


Na sowas, nicht nur implizit, sondern sogar explizit gelogen. Zum Kopfschütteln.

Auch in der Politik ist das Fokus-Herumgeschiebe sehr populär, denn auch da geht es darum, die Dinge im gewünschten Licht darzustellen und so den Durchschnittsmenschen von etwas zu überzeugen. Wenn Sie in der Schweiz leben, ist Ihnen bestimmt aufgefallen, wie die aktuelle Initiative der SVP auf den Ja- und Nein-Plakaten jeweils genannt wurde:


Die Befürworter sprachen immer von der "Masseneinwanderungsinitiative". Klingt, als würde eine gewaltige Bedrohung damit aufgehalten, und als müsse man folglich unbedingt "Ja" stimmen.



Bei den Gegnern war die Rede von der "Abschottungsinitiative". Die niedrige Meinung davon wird durch diese Wortwahl doch ziemlich klar, und einer Initiative mit so einem negativ konnotierten Titel möchte man spontan doch eher ein "Nein" geben.


Werbung und Politik linguistisch zu untersuchen, ist hochspannend. Der Druck, der auf den Leuten in diesen Branchen lastet, ist enorm: Auf engem Raum müssen möglichst viele Leute mit Sprache für etwas gewonnen werden. Wie Sie sehen, bringt das faszinierende und nachdenklich stimmende Ergebnisse hervor. Oder witzige, wie bei Herrn Bigler, der sich bei Tele Züri mit einer tiefgründigen Metapher zur SVP-Initiative äusserte: "S Problem isch jo, dass me uf em Ascht sitzt, wo me sälber sitzt!" Ich werde mich hier nicht das letzte Mal mit diesen Themen beschäftigt haben. Noch einen schönen Tag!

-Der Sprachbeschreiber