Montag, 27. Januar 2014

7: Heitere Sprachspiele #1

Wenn Sie so viel über Sprache nachdenken wie ich, und dann noch so ein ganz klein wenig kreativ, verrückt, gebildet und kreativ 1 sind wie ich, dann kann das, wie ich bereits einmal angetönt habe, zu wahnwitzigen sprachlichen Fantasieschöpfungen und Wortspielen führen. Da hab ich regelmässig was dazu in petto. Deshalb wird es ab jetzt die Eintragsreihe "Heitere Sprachspiele" geben, aus der ab und zu ein Exemplar veröffentlicht werden wird. Heute also Teil 1.
1 = Man kennt diesen Witz aus: Kling, Marc Uwe (2011): Das Känguruh-Manifest. Berlin: Ulstein. Mit GRÖSSTER Empfehlung, gemeinsam mit dem Vorgänger (Die Känguruh-Chroniken). Die Hörbuchversionen finde ich besonders witzig.

Speziell die Umwandlung von implizitem in explizites Wissen ist beim wortspielen (haha) behilflich. Man merkt etwa, dass präfigierte Verben (Verben mit Präfixen wie auf-, zu- oder ver-) mal getrennt werden und mal wieder nicht. Warum nicht mal die Regeln verdrehen? Der Sprachbeschreiber dreht die Regeln ver. Er zumutet das seiner Leserschaft. Ich hoffe, das setzt sie nicht zu sehr ent, sonst weiterlesen Sie besser nicht (in diesem letzten Beispiel handelt es sich bei "weiter" allerdings eher um ein Adverb als ein Präfix). Man kann auch mal an unüblichen Stellen das Genus verbi auswechseln, also etwa Aktive durch Passive ersetzen. Wenn etwas geschieht, könnte man auch sagen, es sei "passiert worden". Wer als Kind nicht zum Zahnarzt wollte, ist von seinen Eltern hingegangen worden, nachdem er/sie bereits gegen seinen/ihren Willen aufgestanden worden war. Womit kann man noch spielen? Etwa mit "Anti", "Pro", "Kontra" etc. Und schon stehen neue Begriffe im Raum: Was kauft man wohl in einem Proquariat? Wann sagt man vor dem Trinken "Kontrast!"? Wenn die Pharmaindustrie wegen ihrer Gewinnorientierung nicht an einem gesunden Volk interessiert sein kann, dann verkauft sie doch bestimmt Depressiva, Infektionsspray und Biotika? Gegenteile bieten natürlich noch viel mehr Spielraum. Kennen Sie das Gefühl der Unterraschung? Wo kann man Wirtschaft und Link studieren? Und wenn die Sonne morgens aufgeht, dann könnte sie abends doch auch abgehen? Dazu passend: Der lustige Gegenteilgenerator auf gegenteil-von.com. Was der teilweise ausspuckt...


Das geht natürlich auch mit Maskulinum und Femininum - aber da sind interessante Ergebnisse schwieriger zu erzielen. Einer unserer Dozenten an der Hochschule bestand darauf, an jedem möglichen Ort Feminina zu verwenden. In vorauseilendem Gehorsam fing ich an, in meinen Notizen sowie auch bald im Alltag so viele Worte wie möglich zu "femininisieren". Aus Felix Steiner wurde Felicia Steinerin. Aus Burger King wurde die Burger Queen. In der Kina werden immer die neusten Trailerinnen gezeigt. Umgekehrt ginge natürlich auch. So wurde aus der Beatrice der Beateur, und aus der Karin der Karer. Oder der Car.

Sie dürfen gern mitspielen und mir Ihre lustigsten Sprachspielideen zusenden, die ich dann vielleicht sogar in einen Post dieser Reihe integriere. Ohne die "Hilfe" meiner Freunde würde bei Weitem nicht so viel Material vorliegen - so viel Wahnwitz gibt mein Gehirn allein dann doch nicht her. Machen wir zusammen unser grosses Hobby, die Sprache, zum grossen Spielplatz! Ich freu mich.

-Der Sprachbeschreiber

Montag, 20. Januar 2014

6: Von Vögeln und Handschuhen

Zuallererst möchte ich diese Woche ein grosses DANKESCHÖN ausrufen. Am 13.1.2014 wurden die Gedanken des Sprachbeschreibes nach ziemlich genau einem Monat im Netz bereits zum eintausendsten Mal angeklickt. Das dürften im Schnitt rund 32 Klicks pro Tag sein! Das Wissen darum, dass auch tatsächlich Leute mitlesen, wenn ich schreibe, beglückt und motiviert mich ungemein. Ihr seid grosse klasse!

So, zum Anfang möchte ich von einer kleinen Alltagsepisode berichten. Kopfschüttelnd sass ich kürzlich auf dem Sofa im Wohnzimmer bei meiner Mutter. Sie hatte "Wer wird Millionär" eingeschaltet, und der Kandidat hatte sich folgender Frage gegenüber gesehen: "Wobei handelt es sich nicht um Vögel? A Pinguine B Wellensittiche C Sträusse D Kakadus". Er hatte das Publikum gefragt, und dieses hatte sich mit grosser Mehrheit für die Pinguine entschieden, was dann auch er getan hatte. Und dann der Schock. Pinguine gelten sehr wohl als Vögel. Es handelte sich um eine fiese Fangfrage: "Sträusse" ist der Plural von "Strauss" im Sinne von "zusammengebundene oder -gestellte abgeschnittene oder gepflückte Blumen, Zweige o. Ä." (duden.de). Aus dem Strauss im Sinne von "(in den Steppen Afrikas und Vorderasiens lebender) grosser, flugunfähiger Laufvogel mit langem, nacktem Hals, kräftigem Rumpf, hohen Beinen und schwarz-weissem bis graubraunem Gefieder" (duden.de) werden im Plural die "Strausse". Das wären auch Vögel gewesen. Fies. FIES.

Nach dieser kleinen Alltagsgeschichte nun zum Hauptinhalt des dieswöchigen (Gibt's gar nicht? Mir egal.) Blogeintrags; einem kurzen Stück Literatur, das ich letztes Jahr an der Hochschule niederschrieb. Man gab uns zur Inspiration nichts weiter als ein Bild. Hier das Endprodukt dieses Projekts, nach ein paar Überarbeitungsphasen...


"Da liegt er nun, dieser Handschuh. Gelandet auf dem Boden der Tatsachen, der ihm in der Form einer Treppe am Bahnhof Winterthur begegnet ist. Sein Besitzer Hans, 61-jährig, hatte ihn aufgrund der unerwarteten Wärme, die er bei der Ankunft im herbstlichen „Winti“ festgestellt hatte, in seine Tasche stecken wollen und versehentlich sein Ziel verfehlt. Dann war der baldige Rentner eilends im Meer der Menschen verschwunden, die hier täglich ein- und ausgehen. Dieses Schauspiel, das man hier zu Stosszeiten erlebt und das manchmal kleinen Völkerwanderungen gleichzukommen scheint, ist ziemlich eindrücklich. Die Stadt boomt. Im letzten Jahrzehnt hat ihre Einwohnerzahl die 100‘000er-Marke gesprengt. Über 7000 Studenten arbeiten an den hier ansässigen ZHAW-Departementen ihren Bachelors und Masters entgegen. Die erwähnte Treppe wird sich also nicht über zu wenig "Kundschaft" beklagen können. Doch nun liegt dieser Handschuh dort, und das ist ein Problem. Immerhin verunreinigt er das reine, makellose Bild des Bahnhofs, der ja immerhin in der sauberen Schweiz liegt und gewissen Standards genügen sollte!

Bald werden also die Angestellten der Stadtreinigung vorbei kommen und sich fragen, wie mit diesem Fremdkörper umzugehen sei. Fest steht: Er muss weg. Wo kämen wir denn auch hin, wenn jeder seine Handschuhe an öffentlichen Orten herumliegen liesse? Eine Verunreinigung der Allmend liegt hier vor, und dagegen muss rigoros vorgegangen werden. Es stellt sich lediglich die Frage: Welches Extrem der Fürsorge werden die Angestellten mit ihrem Gewissen vereinbaren können? Ist es der Gang zum Mülleimer oder der zum Fundbüro? Wird das Gewissen überhaupt eingeschaltet, oder wird willkürlich entschieden? Findet das Kleidungsstück wieder zu seinem Besitzer zurück? Es wäre ihm zu wünschen, denn die Realität, mit der es nun konfrontiert worden ist, sieht so aus: Ohne seinen Besitzer, den Menschen, ist es schlicht nicht von Bedeutung. Wie gross kann diese Bedeutung, die Verehrung eines solch unspektakulären Gegenstandes, wohl überhaupt werden? Der Spielraum ist nicht zu unterschätzen, wie etwa der Österreicher Niko Alm gezeigt hat. Ihm war es als Anhänger der „Kirche des fliegenden Spaghettimonsters“ (gegründet 2005 vom US-Amerikaner B. Henderson) möglich, für sein Führerscheinfoto mit einem Pasta-Abtropfsieb auf dem Kopf abgelichtet zu werden. Einem Handschuh ist wahrscheinlich noch nie in diesem Masse Ehre zuteil geworden. Sollte sich dies nicht ändern? Ist ein Handschuh etwa weniger der Verehrung würdig als ein Nudelsieb?

Die Frage, wie innig die Beziehung zu einem unbelebten Gegenstand sein sollte, muss wohl jeder belebte Mensch für sich selbst beantworten. Bis sie für unseren Handschuh geklärt ist, dürfte es nicht mehr allzu lange dauern. Die Beziehung zu Besitzer Hans wird auf die Probe gestellt. Wird dieser nach seinem Begleiter suchen? Oder ihn kaltblütig den Stadtreinigungsleuten überlassen, die mit ihren womöglich ausländischen Händen um die vielgepriesene Sauberkeit der Schweiz besorgt sind, und ihn einfach ersetzen? Ist Ihnen aufgefallen, dass er dabei in einem Schuhgeschäft keinen Erfolg haben wird, obwohl wir hier eindeutig von einem Hand-Schuh sprechen? Ist Ihnen zudem aufgefallen, zu welchen Ausführungen das philosophisch veranlagte Hirn fähig ist, sei der Ausgangspunkt auch noch so banal? Ich wünsche Hans und seinem Handschuh alles Gute für die Zukunft."

Tja, damit ist für's Erste alles gesagt. Gehabt euch wohl.

-Der Sprachbeschreiber

P.S. Da fällt mir doch noch was ein! Falls das jemand von den Basler Verkehrsbetrieben liest: Kürzlich hatten Sie auf ihren Stationsanzeigetafeln die Meldung eingeblendet, dass die Tramlinien zum Bahnhof SBB "umgeleidet" werden müssten. Da ist Ihnen ein Fehler unterlaufen. Es müsste wenn schon "umgelitten" heissen! Etwas mehr Konsequenz bei solchen Experimenten, wenn ich bitten darf. :P

Montag, 13. Januar 2014

5: "Das seit me halt so!"

Ich mache mir oft Gedanken über "eingefrorene" Wendungen und "idiomatische Traditionen", die wir regelmässig und praktisch immer im selben Wortlaut benutzen, meist ohne daran zu denken, was wir da eigentlich sagen. Es gibt harmlose, amüsante Beispiele. Haben Sie sich zum Beispiel schon einmal die Metaphern vorgestellt, die hinter der Aussage "Schiess los, ich bin ganz Ohr" stecken? Besonders anschaulich wird's, wenn Sie solche Redewendungen Wort für Wort zu übersetzen versuchen. "Start shooting, I'm nothing but an ear." (Hier gibt's mehr davon) Wie meine Freunde wissen, mache ich mich auch gern über zumindest theoretisch falsch angewendete Modalverben lustig. Ich als Allergiker werde zum Beispiel oft gefragt: "Gäll, du dörfsch keini Nüss ässe?". Dann sage ich grinsend: "Ich dörf sehr wohl. Ich kas au. Ich machs eifach nid so gärn." Und wenn man mich fragt, ob ich darüber informieren könne, wieviel Uhr es sei, dann denke ich mir jedes Mal, dass die korrekte Antwort darauf eigentlich aus nichts weiter als "Ja" bestehen würde. Das ist allerdings ein Spezialfall: Wir empfinden es bei sozialer Distanz als höflicher, wenn man Dinge indirekt anspricht. Kein zivilisierter Mensch würde auf einen Fremden zugehen und sagen: "Sagen Sie mir die Uhrzeit!". Andere Beispiele: Wussten Sie, dass "Sinn machen" direkt aus dem Englischen übernommen wurde und im Deutschen falsch ist (fragen Sie Bastian Sick)? Und wussten Sie - damit sind besonders Herr und Frau Schweizer gemeint - dass man in aller Regel gar nicht "auf" den Zug, sondern "in" diesen geht (das kommt vielleicht aus dem Indischen)? Solche Dinge gelten nur als richtig, weil es eben alle so sagen, so dass man trotzdem versteht, was gemeint ist. Ist also nicht so tragisch. Das sind lediglich lockere, unterhaltsame Beispiele. Es gibt auch tiefgründigere. Traditionen haben ihre Tücken.

Eine Frage: Wie oft haben Sie schon "es tut mir leid" gesagt und genau das gemeint? Auch hier hat mir eine andere Sprache die Augen geöffnet. Auf Spanisch sagt man "Lo siento", was direkt übersetzt soviel heisst wie "Ich fühle es". Als ich das zum ersten Mal hörte, dachte ich: "Das ist ja stark. Sollte man auf Deutsch auch einführen. Nein, Moment mal - gibt es schon..!". Diese Wendung ist wie die meisten so abgedroschen, dass wir uns oft nicht mehr bewusst sind, was wir damit ausdrücken. Was die Wendung aussagen will, ist etwas, das erst so richtig zur Geltung kommt, wenn wir sie paraphrasieren (in anderen Worten ausdrücken) und so die eingefrorene Wendung "auftauen". Etwa so: "Hör mal, ich leide echt wegen dem, was ich getan habe." Wow. Das hat Kraft. Ein anderes Beispiel ist die Frage, auf die wohl die meisten gelogenen Antworten folgen: "Wie geht's dir?" (Vermutlich liegt die Frage in Tat und Wahrheit auf Rang 2, gleich nach "Haben Sie die Geschäftsbedingungen gelesen und akzeptiert?") Diese wörtliche Bedeutung ist schon etwas schwieriger zu entschlüsseln. Ich spüre eine dominante wirtschaftliche Note darin. Wie erfolgreich, wie effizient bist du in dem, was du anpackst? Das ist zumindest meine Ansicht. Dazu kommt die unsägliche Abgedroschenheit. Was wollen wir eigentlich wissen, wenn wir das fragen, und hört man das der Frage (noch) an? Ich halte es auch hier für sympathischer, wenn man paraphrasiert. "Wie fühlst du dich?", "Wie läuft dein Leben so?". Auf solche konkreten Fragen, die ehrliches Interesse suggerieren, kann man doch auch besser antworten, nicht? Der Dialog "Wie geht's dir?" - "Gut" hat wohl noch kaum jemandem wirklich etwas  gebracht, selbst wenn gute Absichten dahinter standen. Aber wenn's bei Ihnen klappt, dann will ich nichts dagegen sagen.

Seien Sie aber gewarnt: Die Sprachwissenschaft, die Linguistik, warnt vor den Gefahren der Abgedroschenheit, vor dem, was man halt so traditionell sagt. Bei der Sprechaktgestaltung zum Beispiel gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, Höflichkeit in eventuell Problematisches wie Bitten oder Kritik zu mischen. Und abgedroschene, eingefrorene Formulierungen wie "Entschuldigen Sie...", "Wären Sie so freundlich...", oder "Ich will ja nicht unhöflich sein, aber...", werden von Linguisten als "negative" Höflichkeit bezeichnet; sie seien ungeschickte, wenig gefühlvolle Versuche der Schonung des Gegenübers. Positive Höflichkeit, durch die am wenigsten Geschirr zerschlagen werde, erreiche man durch die individuelle Betonung der Sympathie für den anderen und die gute Beziehung zu ihm: "Du machst das wirklich gut, aber...", "Ich wäre dir sehr dankbar, wenn...", "Du weisst, ich mag dich sehr gern, aber...".

Eine bedenkliche "Tradition" ist auch das Verallgemeinern. Im argumentativen Sektor ist der Zusammenhang zwischen Sagen und Meinen besonders wichtig und oft nur teilweise vorhanden. Wir weichen beim Streiten regelmässig von der Realität ab, um unseren Äusserungen mehr Schlagkraft zu verleihen und den anderen einzuschüchtern, nur damit wir als Sieger aus der jeweiligen Auseinandersetzung hervorgehen. Besonders gern wird dabei verallgemeinert. Der andere mache etwa nie den Abwasch, müsse immer das letzte Wort haben und habe beim Eintreten mit seinen dreckigen Schuhen wieder einmal alles verschmutzt. So sagt man das eben im Affekt. Solche Aussagen entsprechen enorm selten der tatsächlichen Faktenlage, aber es würde halt einfach zu wenig überzeugend klingen, wenn man sich an die Fakten hielte. Da - die Vorzüge der linguistic awareness: Wenn man sich eingesteht, dass es vielleicht tatsächlich nicht "immer", "nie" oder "alles" ist, kann man daraus schliessen, dass der andere vielleicht gar nicht der niederträchtige Nichtsnutz ist, als den man ihn bezeichnet, und dass man nicht mehr das Ziel der Konfliktlösung, sondern das der Diffamierung des Gegenübers verfolgt.

Verallgemeinerung ist auch in anderen Zusammenhängen ein Thema, denn sie spart Zeit und kognitiven Aufwand. Die "Sprachökonomie" ist ein Phänomen, das Wörter und Sätze immer kürzer und knapper werden lässt. Kannten Sie etwa das "zipfsche Gesetz"? Dieses besagt: Je länger ein Wort ist und je öfter es verwendet wird, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass dafür eine Abkürzung eingeführt wird, ein Akronym oder ähnliches (passiert z.B. oft bei Schulfächern). Eine Berufsgruppe, die den Aufwand nicht scheut, ist die der Wissenschaftler: In ihren Artikeln wird z.B. in aller Regel viel Wert darauf gelegt, möglicherweise falsche Annahmen als solche zu kennzeichnen, selbst wenn man sich bei seinen Ergebnissen absolut sicher ist. Man nennt das "hedging": Es lässt die Möglichkeit für andere Meinungen und neue Forschungsergebnisse offen und zeigt Ehrlichkeit und Bescheidenheit. Aber in der Alltagssprache heisst's zumeist: Sprachökonomie über alles. Beispiel: Ich komme ins Wohnzimmer, mein Bruder hat die MTV-Top Ten laut aufgedreht. Ich verdrehe genervt die Augen und sage: "Das ist doch keine Musik mehr!". Irgendwann denke ich über diese Äusserung nach. 'Moment mal - das stimmt so nicht. Es ist leider eigentlich schon Musik. Und vielen gefällt's... Es muss sich um meine persönliche Meinung handeln. Hätte ich auch so sagen können.' Man hört solche Aussagen oft genug: "Dieses Essen schmeckt ja scheusslich!". "Dieser Film ist total langweilig!". "Deine Berufswahl ist völlig falsch!". Das Universum besteht nur zu einem ganz winzigen Teil aus einem selbst. Man sollte - pardon, ich finde, man könnte sich gelegentlich ruhig etwas respektvoller und bescheidener geben und Statements, die eigene Meinungen darstellen, auch im alltäglichen Gebrauch ab und zu als subjektive Ansichten bezeichnen, Aufwand hin oder her. Vielleicht bringt's ja was.

Es stellen sich, wie bereits bei der Einführung des Begriffs der linguistic awareness erwähnt, folgende Fragen: Wer wäre zu Verhaltensänderungen wie der letztgenannten bereit, und wären diese sinnvoll? Welche Ideen sind umsetzbar? Wo wäre es eine gute Idee, sich Mühe zu geben, bewusster zu kommunizieren, und der bequemen Alltagssprache den Kampf anzusagen? Geben Sie ihren Senf doch zwischen dem 13ten und 19ten Januar in der exemplarischen Umfrage in der rechten Spalte dazu. Auch Meinungen in den Kommentaren sind nicht verboten, wenn Sie Lust haben. So, dann können wir hier abbrechen, denke ich. Bis nächste Woche.

- Der Sprachbeschreiber

Montag, 6. Januar 2014

4: Linguistic Awareness

Sooo, heute will ich einen Begriff einführen, den ich höchstpersönlich begründet habe, und der gewissermassen der Inspirationsquelle für diesen Blog einen Namen gibt: Den des sogenannten linguistischen Bewusstseins, der "linguistic awareness".

Sprache funktioniert im Alltag weitgehend automatisch. Wir machen uns im Allgemeinen eher selten Gedanken über die genaue Beschaffenheit und Funktionsweise dessen, was wir tagtäglich so von uns geben. Tun wir dies aber öfters, dann verfügen wir über ein gesteigertes Mass an linguistic awareness. Je stärker die Ausprägung, die wir durch Bildung und Interesse an Sprache fördern können, desto eher erkennen wir z.B. Grammatikfehler oder machen uns Gedanken über Aussagen, die mehrere Verstehensmöglichkeiten bieten. Was man mit diesem Werkzeug in den Minen der Alltagssprache so alles zutage fördern kann, möchte ich in diesem Blog aufzeigen.

Die Thematik, die mich wohl am meisten beschäftigt, ist die folgende: Wir meinen ja immer gewisse Dinge, wenn wir etwas sagen. Aber manchmal stimmt das Gemeinte nicht eins zu eins mit dem wörtlichen Inhalt der Aussage überein. Ja, oft passiert das wegen grammatischen oder orthographischen Fehlern. Man kann sich in einem Blog wie diesem immer über Fehler aufregen. Das ist ganz unterhaltsam, aber wenn man dabei bleibt, macht man es sich doch etwas gar einfach. Spannend wird es, wenn man rein grammatisch und orthographisch keine Fehler ausmachen kann.

Bei ungewollter Mehrdeutigkeit zum Beispiel. Oder etwa dann, wenn das Gesagte nur aus konventionellen oder sprachgeschichtlichen Gründen oder nur nach der Meinung des Sprechers mit dem Gemeinten zusammenhängt. Bei abgedroschenen Wendungen, die man "halt eben so sagt", wenn man in Gesprächen unbedingt die Oberhand behalten will und von Gefühlen geleitet ist, oder weil man beim Sprechen Aufwand scheut. Über solche Dinge lässt sich reichlich nachdenken und philosophieren, und man kann "optimalere" Lösungen vorschlagen. Die zentrale Frage liegt dann immer bei Sinn und Unsinn der ganzen Angelegenheit: Die Sprache funktioniert doch so, wie sie ist! Ist es nicht egal, wenn Gesagtes und Gemeintes nicht hundertprozentig übereinstimmt? Man versteht sich doch, wenn man so spricht, wie eben gesprochen wird! Oder..? Wie auch immer: Obwohl ich die Sprache immer als irgendwie gegenteilig zur Mathematik angesehen habe, stelle ich nun bei der vertieften Theoriebeschäftigung doch Parallelen fest: Mathematiker und Physiker beschäftigen sich zuweilen auch gern mit Problemen, die in der realen Welt keine praktischen Relevanz haben, die nur unter veränderten Bedingungen existieren und gelöst werden können. Aber wie sagte doch Richard Feynman: "Physik ist wie Sex. Manchmal kommt etwas Nützliches dabei heraus. Aber deshalb betreiben wir sie nicht."

Und so will ich es grundsätzlich auch mit meinem Blog halten. Es soll primär Spass machen. Aber wer weiss, vielleicht wird der Sprachbeschreiber die Sprachrealität revolutionieren. Seien Sie dabei, wenn's soweit ist. Sie sind herzlich dazu eingeladen, ihre linguistic awareness mit Hilfe der Gedanken des Sprachbeschreibes  zu entdecken und zu fördern. Aber ich muss Sie warnen: Sie könnten als Nebenprodukt eine blühende Sprachphantasie entwickeln, die anderen möglicherweise hin und wieder auf die Nerven geht. Aber dazu später mehr. Ade.

-Der Sprachbeschreiber

P.S. Bastian Sick, Schlussredakteur der Onlineredaktion des Magazins "Der Spiegel", Kolumnist ("Zwiebelfisch") und Buchautor ("Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod"), verfügt über eine stark ausgeprägte linguistic awareness, was ihn zu einem interessanten Sprachbeschreiber macht. Wenn Sie mal 1,5 Stunden Zeit haben sollten, dann gehen Sie doch mal in seinem Bühnenprogramm, das Sie sich unten zu Gemüte führen können, auf Safari durch die Welt des linguistischen Bewusstseins. Sie ahnen ja gar nicht, wie gut ich diesen Menschen und seine Ausführungen verstehen kann...