Montag, 23. Dezember 2013

2: Erste Stellungnahme zur Dialektproblematik

Es war am Mittwoch, dem 11.12.13. Der FC Basel verlor gegen den FC Schalke 04, was den fanatischsten unter den Anhänger des Schweizer Clubs in ihrem wieder einmal aufgekommenen Grössenwahn einen herben Dämpfer versetzte. Da waren sie aber ungehalten. Auf Facebook musste ich mitansehen, wie sie unter den Posts zum Fussballspiel Kommentargefechte anzuzetteln begannen. Mir wurde dabei ob der gewaltigen Boshaftigkeit und Ignoranz der Teilnehmer beinahe übel. Ich bin selbst ein grosser Fussballfan und bestens vertraut mit den teils starken Emotionen, die bei solchen Affichen aufkommen. Für das beobachtete Verhalten habe ich dennoch nicht das geringste Verständnis: Beschimpfungen voller Vorurteile und Stigmatisierungen brechen aus den Beteiligten hervor, kaum einer zeigt die Fähigkeit, sachlich zu diskutieren. Diffamieren statt Argumentieren, so die Devise:
Und mir fällt auf, dass sich dabei wieder einmal folgendes zeigt: Sprache ist für Menschen meist kaum zu trennen von Identität. Die beteiligten Schweizer formulieren ihre Beschimpfungen in übertriebenem Nationalstolz auf Schweizerdeutsch. Hochdeutsch steht für das Fremde, das Böse, für Arroganz, für den Feind im Norden, und deshalb prahlt man hochnäsig mit der eigenen Sprachvarietät. "Mir bruuche eures verfickte Dütsch nid!". Auch viele deutsche Fans begeben sich auf dieses Niveau herunter und bezeichnen die Schweizer als primitive Bauern, die "noch nicht mal ne Grammatik" besässen, und machen sich über das Schweizerdeutsch lustig. Traurig - insbesondere dann, wenn einem klar wird, dass es eigentlich nur um das Ergebnis von einem Ballspiel ging 1.
1= Der Genitiv ist heute akut vom Aussterben bedroht. Stoppen Sie diesen Wahnsinn. Genitiv bewahren, beim Dativ sparen. Besten Dank für Ihren Beitrag als Mitglied der Sprachgemeinschaft Deutsch.

Fest steht, dass die Vertreter beider Seiten bei mir reichlich Respekt verloren haben, ohne dass ich sie persönlich getroffen hätte. Schade, schade. Das Hochdeutsche und die Schweizer Dialekte haben die selben Wurzeln. Die Bezeichnung "Hochdeutsch" bedeutet nicht, dass diese Varietät per se etwas besseres ist als andere, sondern nur, dass sie weiter nördlich Verwendung findet. Aber eins müssen wir Schweizer uns ganz einfach eingestehen: Unsere Varietät ist nun mal nicht ausreichend kodifiziert (=durch schriftlich festgehaltene Regeln genormt), um etwa zur Landessprache erhoben oder anderweitig im offiziellen Bereich verwendet zu werden. Uns in Hochdeutsch unterrichten zu lassen, erweitert unseren Horizont und signalisiert, dass wir uns darüber im Klaren sind, dass es eine Welt jenseits unserer Landesgrenzen gibt.

Dennoch spreche ich mich in keinster Weise für eine Abschaffung des Dialekts aus. Wie erwähnt stiftet er Identität, und das erlebe ich immer wieder als etwas sehr Schönes. Es fühlt sich doch immer wieder gut an, mit einer eigenen Sprachvarietät kommunizieren zu können, die einzigartiges Merkmal der eigenen Herkunft ist. Man grenzt sich gewissermassen auf eine gute Art ab, so wie es nicht nur bei Dialekten, sondern auch bei Soziolekten geschieht: Jugendsprache ist so eigenwillig, modern, rebellisch und "cool", wie es die Jungen sein wollen, und sie möchten beim Sprechen auf keinen Fall genau gleich klingen wie die älteren Generationen, weil ihnen eine eigene Identität wichtig ist. Wichtig ist nur, dass diese Abgrenzung nicht auf ein ungesundes Niveau abrutscht, so dass es zu starker Trennung und Verachtung kommt - ob zwischen alt und jung oder zwischen Schweizern und Deutschen. Krass: Der Westschweizer Sprachforscher José Ribeaud kritisierte kürzlich die Sprachpolitik der Schweiz und warnte vor einer Konfliktzuspitzung, die in einer Situation wie jener in Belgien enden werde, wo sich ein tiefer Graben zwischen französisch- und niederländischsprachigen Bürgern gebildet hat (hier der Link zum Interview). Denken wir drüber nach! Eine derartige Stufe der Trennung zwischen den Sprachgemeinschaften in und um Helvetien wäre bedauernswert und absolut unnötig. Deshalb schliesse ich für den Moment als Reaktion auf die durch den Fussball erneut aufgekommene Xenophobie zwischen Deutschland und der Schweiz ganz plakativ: Deutschsprachige aller Länder, vereinigt euch! Setzt Sprache nicht gleich mit Identität. Das ist genau so blöd wie Rassismus.

-Der Sprachbeschreiber

P.S. Der Fussballgott sei mir gnädig, denn ich habe mir den Match nicht angesehen. Stattdessen war ich an der Basler Vorpremiere von "The Hobbit: The Desolation of Smaug" anwesend. Der Streifen gefiel mir ausgezeichnet, was unter anderem dem Dialog zwischen dem Drachen Smaug und dem Hobbit Bilbo zu verdanken ist - ein Genuss für jeden Sprachfan; besonders der Drache gibt sich lexikalisch und syntaktisch (in Sachen Vokabular und Satzbau) sehr gebildet. Überzeugen Sie sich am besten selbst davon, wenn Sie's genauer wissen wollen. Ich hoffe, die Szene wurde auf Deutsch ebenbürtig wiedergegeben. Das zu bewerkstelligen, ist nämlich eine Herausforderung, glauben Sie mir. Viele glauben das nämlich nicht. Leider. Doch auch das Brechen einer Lanze für die Translationswissenschaft will ich mir für später aufheben...

P.P.S. Ganz frei von Zwängen möchte ich noch sagen: Frohe Weihnachten, allerseits! Apropos, da fällt mir noch dieses leicht infantile Wortspiel aus einem Thread von tumblr.com ein:

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